Ein Beitrag von: Interdisziplinärer Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS)

Das Konzept des AKIS-Netzwerkes Innere Sicherheit

1. Innere Sicherheit als Politikfeld

Innere Sicherheit bildet in der interdisziplinären Perspektive der Forschung zur Inneren Sicherheit ein handlungs- wie systemtheoretisch bestimmbares Politikfeld, welches durch ein Netzwerk miteinander interagierender und in regelmäßigen Austauschbeziehungen stehender (individueller und kollektiver) Akteure gekennzeichnet und dadurch von der System-Umwelt abgrenzbar ist.

"Innere Sicherheit" (IS) steht für den Teilbereich des politischen Systems, welcher die Handelnden (Akteure), die Strukturen (Polity), die Entscheidungsprozesse (Politics) und die materiellen Inhalte bzw. Programme (Policy) enthält, die an der Herstellung der Politik der IS beteiligt sind und diese kennzeichnen. IS lässt sich in diesem Sinne beschreiben als ein Politikfeld, an dem neben den Akteuren des politisch-administrativen Systems auch eine Reihe von weiteren politischen und gesellschaftlichen Akteuren beteiligt ist. IS ist infolgedessen deskriptiv zu definieren als ein System von staatlichen Institutionen und Einrichtungen, welches durch Verfassung und Organe der demokratischen Willensbildung legitimiert ist, das öffentliche Gewaltmonopol im Rahmen kodifizierter Regeln exekutiv unter Anwendung auch von unmittelbarem Zwang auszuüben. IS als Politikfeld weist darauf hin, dass an der zugrunde liegenden Politikproduktion neben den exekutiven Institutionen und Einrichtungen (vor allem Polizei und Staatsanwaltschaften) weitere Akteure beteiligt sind, zu nennen sind die Innenministerien, parlamentarische Institutionen (Ausschüsse), des Weiteren Parteien und Verbände (Polizeigewerkschaften, Verbände der privaten Sicherheitswirtschaft, Bürgerrechtsgruppen) sowie föderale Verhandlungsgremien (Innenministerkonferenz, Ausschüsse des Bundesrates).

Dieses Netzwerk lässt sich im Sinne dreier konzentrischer Kreise beschreiben. Es kann begrifflich unterschieden werden zwischen dem Zentralbereich, dem politisch-institutionellen Umfeld und dem korrespondierenden politischen Umfeld. Die "AKIS-Linkliste: Netzwerk Innere Sicherheit" ist anhand dieser Struktur entwickelt.

Verweis: Zum Politikfeld Innere Sicherheit siehe ausführlich: Hans-Jürgen Lange 2006: Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, VS-Verlag, Wiesbaden, S. 123-136.

 

2. Der Zentralbereich der Sicherheitsbehörden

Auf der Bundesebene umfasst der Zentralbereich die staatlichen Sicherheitsbehörden. Zu nennen sind: die Polizeien des Bundes (Bundeskriminalamt, Bundespolizei, vormals BGS, der Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder beim BMI), die Nachrichtendienste des Bundes (Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst), die Sonderpolizeien des Bundes (die Zollbehörden Zollgrenzdienst und Zollfahndung, Bundesamt für Güterverkehr, Strom- und Schifffahrtspolizei), die Generalbundesanwaltschaft und als Sondereinrichtung die Hausinspektion des Deutschen Bundestages.

Auf der Landesebene umfasst der Zentralbereich die eigentliche Landespolizei (die Schutz- und Kriminalpolizei in den Polizeibehörden auf der kommunalen Ebene), das Landeskriminalamt sowie die landesspezifischen gesonderten Polizeibehörden (Autobahn-, Wasserschutz- und Bereitschaftspolizeien). Es kommen hinzu das Landesamt für Verfassungsschutz, als Sonderpolizeibehörden die Steuerfahndungen sowie die Staatsanwaltschaften der Länder (Generalstaatsanwalt, Leitende Oberstaatsanwälte, Staatsanwälte).

 

3. Das politisch-institutionelle Umfeld

Während es sich im Zentralbereich um Exekutivbehörden handelt, zeichnen sich die Einrichtungen im politisch-institutionellen Umfeld dadurch aus, dass diese zu jenen in einem bestimmten, i. d. R. verfassungsrechtlich wie gesetzlich definierten Außenverhältnis stehen, welches normierte und regelhafte Entscheidungs-, Weisungs- und Kontrollrechte umfasst. An Institutionen sind auf Bundesebene zu nennen: das Bundesministerium des Inneren (BMI), der Bundestag und Bundesrat (insbesondere die Innenausschüsse), die Bundestagsfraktionen (insbesondere deren Facharbeitskreise), der Datenschutzbeauftragte des Bundes sowie herausgehobene Ausbildungseinrichtungen wie die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol, die bis 2006 als Polizei-Führungsakademie firmierte), die auf einem Bund-Länder-Abkommen sowie einem Gesetz des Landes NRW basiert und den gesamten höheren Dienst sowohl bei den Länderpolizeien als auch bei der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt ausbildet und als Sozialisationsinstanz einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Zu nennen ist auch die Innenministerkonferenz (IMK). Der Bund nimmt daran zumindest auf der Leitungsebene nur als "Gast" teil, in der AG-Kripo als Unterausschuss dominiert dagegen das BKA sehr deutlich.

Das politisch-institutionelle Umfeld besteht auf Landesebene aus dem Innenministerium, dem Landtag (insbesondere dem Innenausschuss), den Landtagsfraktionen (insbesondere deren Facharbeitskreise), dem Datenschutzbeauftragten und den herausgehobenen Ausbildungseinrichtungen (Fachhochschulen, Polizeischulen). Anzusiedeln sind hier auch die Arbeitsgremien der IMK, die von Beamten sowohl aus der Innenverwaltung wie aus den Sicherheitsbehörden der Länder ausgefüllt werden.

 

4. Das korrespondierende politische Umfeld

Die Akteure des korrespondierenden politischen Umfelds weisen diese normierte und regelhafte Fundierung der Interaktionsbeziehungen zum Bereich der staatlichen Sicherheitsbehörden nicht auf. Ihr Einfluss hängt von Durchsetzungsstrategien ab, welche die Akteure mehr oder weniger frei wählen und beeinflussen können. So werden diese bei den Polizeigewerkschaften beispielsweise bestimmt vom Ergebnis der Personalratswahlen, generell von der Mitgliederrekrutierung, vom Vermögen, diese Potenziale in korporatistischen Verhandlungsgremien zur Geltung zu bringen. An Akteuren im korrespondierenden politischen Umfeld sind auf Bundesebene somit vor allem die Gewerkschaftsverbände zu nennen, also die Gewerkschaft der Polizei (im DGB), die Deutsche Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund (DPolG), der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sowie der Bundesgrenzschutzverband. Weitere Akteure sind die Parteien, ebenso wie die Verbände der privaten Sicherheitswirtschaft. Zum korrespondierenden politischen Umfeld zählen auch die Medien, insbesondere die überregionalen, die als Teil der mehr oder weniger kritischen Öffentlichkeit über Entwicklungen im Politikfeld berichten und so indirekt auf die Politikproduktion einwirken können. Einzubeziehen sind auch die nicht wenigen Forschungsinstitute, die in Vereinsform von Wissenschaftlern betrieben werden und finanziert über öffentliche Mittel und Drittmittel anwendungsorientierte Problemstellungen der öffentlichen Sicherheit bearbeiten.

Die Frage, inwieweit auch Bürgerrechtsgruppen zum korrespondierenden politischen Umfeld zu rechnen sind, lässt sich nur schwer beantworten. Die faktische Situation kann so umschrieben werden, dass einerseits die Sicherheitsbehörden kaum ein Interesse daran haben, sich mit den entsprechenden Gruppen auseinander zu setzen, geschweige denn, sie in korporatistische Verhandlungsgremien einzubeziehen. Andererseits sind auch die Bürgerrechtsgruppen von ihrem Selbstverständnis her wenig dazu geneigt, sich auf entsprechende "systemimmanente" Diskurse mit den Sicherheitsbehörden einzulassen. Letztlich drückt sich in dieser fehlenden Einbeziehung von gesellschaftlichen Gruppen in das Politikfeld die alte deutsche Tradition eines strikten Gegenübers von Staat und Gesellschaft aus.

Im korrespondierenden politischen Umfeld auf Landesebene üben vor allem die Gewerkschaftsverbände einen maßgeblichen Einfluss aus. Sie sind in ein festes korporatistisches Austauschverhältnis mit der Polizeiverwaltung eingebunden. An weiteren Akteuren sind zu nennen die Parteien, die Verbände der privaten Sicherheitswirtschaft, die Medien und etwaige Forschungsinstitute. Für die Bürgerrechtsgruppen gelten vergleichbare Bedingungen wie auf der Bundesebene.

 

5. Veränderungen des Politikfeldes Innere Sicherheit

Das bundesdeutsche System der IS unterliegt derzeit einem starken Wandlungsdruck. Vordergründig ist es der internationale Terrorismus, aus dem die vergangene rotgrüne Bundesregierung, aber auch die neue Große Koalition, die Forderungen ableiten, den föderalen Sicherheitsverbund verstärkt durch zentrale Kompetenzen und Aufgaben des Bundes abzuändern. Insbesondere sollen die Befugnisse des Bundeskriminalamtes, der Bundespolizei und des Bundesamtes für Verfassungsschutz zulasten der Länder gestärkt werden. Auch wurde mit dem "Terrorismus-Abwehrzentrum" eine neue Koordinations- und Auswertungseinheit des Bundes geschaffen, welche die Informationen der Polizeien und der Nachrichtendienste besser erschließen soll. Neben dem Terrorismus sind es aber zwei andere Entwicklungen, die unmerklicher verlaufen, aber das bundesdeutsche Sicherheitssystem sehr grundlegend verändern.

5.1 Verwaltungsreformen in der Inneren Sicherheit

Zum einen wandelt sich die Polizei im Zuge der seit Jahren ablaufenden Staats- und Verwaltungsreformen tiefgreifend. Die Polizei verliert hierbei ihr Monopol der Sicherheitsproduktion. Private Sicherheitsdienste finden zunehmend die Anerkennung auch der staatlichen Sicherheitsbehörden. Es stellt sich dabei die Frage, wo die neue Grenzlinie zwischen Staat und privaten bzw. kommerziellen Sicherheitsanbietern gezogen werden soll. Die Arbeit der Polizei wandelt sich aber auch durch den verstärkten Einsatz von Instrumenten des New Public Managements. Die Frage nach dem Verhältnis von Kosten und Leistungen sind längst zu einem Maßstab geworden für die Frage, welche (öffentlichen) Sicherheitsaufgaben der Staat noch ausüben will und kann.

5.2 Die Europäisierung der Inneren Sicherheit

Zum anderen ist dies der Prozess der Europäisierung der Inneren Sicherheit. Hier differenziert sich das System zunehmend aus. Zu nennen sind die umfangreichen Koordinations- und Lenkungsausschüsse im Rahmen des dritten Pfeilers des EU-Vertrages (die die Aktivitäten der TREVI-Gruppe weiterführen) ebenso wie die entsprechenden Gremien im Rahmen des Schengener-Abkommens. Es werden neue Agenturen und Gremien geschaffen, die den europäischen Grenzschutz koordinieren sollen, ebenfalls vollzieht sich im Bereich der Nachrichtendienste eine Formalisierung der Zusammenarbeit der nationalen Dienste. Zu nennen ist insbesondere Europol als eine in Ansätzen vorhandene europäische Polizeieinrichtung, bei der sich im Verlaufe der nächsten Integrationsschritte zeigen wird, inwieweit hier eine supranationale Polizeiorganisation geschaffen oder ob es auf längere Sicht bei einer Koordinationsstelle bleiben wird. Soll Europol ausgebaut werden, muss zwingend eine europäische Staatsanwaltschaft geschaffen werden, was wiederum die Frage nach einem europäischen Strafrecht und einem Strafgericht aufwirft.

Mit Hilfe des skizzierten Netzwerkmodells lässt sich gut illustrieren, dass bereits die Frage, wo die neu geschaffenen europäischen Institutionen und Gremien anzusiedeln sind, im Zentralbereich oder im politisch-institutionellen Umfeld, analytisch noch vollkommen offen ist. Werden diese Institutionen und Gremien für die bundesdeutschen Akteure im Politikfeld Innere Sicherheit lediglich einen korrespondierenden Einfluss ausüben oder werden sie zu einem integralen Bestandteil eines dann dreigeteilten föderativen Systems der Inneren Sicherheit, also auf den Ebenen Länder-Bund-EU? Der Kompetenz-Schwerpunkt innerhalb des jetzigen Systems liegt in einem fein ausbalancierten Gleichgewicht zwischen Ländern und Bund. Angesichts des fortschreitenden Integrationsprozesses wird von Seiten der Länder befürchtet, dass vor allem die Kompetenz der Rahmen-Gesetzgebung kontinuierlich in neue Verhandlungsgremien übergeht, die vorrangig vom Bund und den übrigen EU-Mitgliedsstaaten und den entsprechenden EU-Gremien bestellt werden. Die Länder versuchen durch eine Reihe von Initiativen ihre "Polizeihoheit" zu wahren, indem sie vor allem darauf drängen, an den entsprechenden Verhandlungsgremien beteiligt zu werden.

 

Prof. Dr. Hans-Jürgen Lange, AKIS

Februar 2012